Rezension: Aliocha Wald Lasowski, Réhabilitons Sartre
Aliocha Wald Lasowski lehrt und forscht zur Politischen Philosophie an Sciences Po in Lille. Sein gerade im Verlag Éditions Frémeaux et Associés erschienenes Buch > Réhabilitons Sartre trägt den Untertitel “Biographie critique et contextuelle d’un penseur du XXe siècle”.
Sein Band ist für Studenten eine sehr lesenswerte Einführung in das Gesamtwerk von Sartre, wie es auch für diejenigen, die mit dem Werk des französischen Philosophen gut vertraut sind, eine gleichermaßen bereichendere Lektüre bietet, die den Titel des Bandes > Réhabilitons Sartre rechtfertigt.
Aliocha Wald Lasowski erinnert vor allem an die Aktualität der Sartreschen Philosophie, die möglicherweise im Rahmen der Diskussionen um sein politisches Engagement etwas in Hintertreffen geraten ist. Es ist auch ein sehr persönliches Buch, weil der Autor zunächst berichtet, wie er selbst Sartre entdeckt hat. Er erinnert sich an das Jahr 2005, als weltweit Sartres 100. Geburtstag gefeiert wurde. In so vielen Facetten erschien Sartre in ungezählten Kolloquien. Dabei wurde deutlich, welche Bandbreite das Engagement von Sartre gehabt hatte: “Im Schwung der Nachkriegszeit hatte der Vater des Existentialismus alle Marker seiner Zeit verschoben, Marxismus, Psychoanalyse, Anthropologie, Soziologie, Autobiografie, Journalismus, Postmodernismus oder Postkolonialismus.” (S. 19) Und Aliocha Wald Lasowski fragt nach der Aktualität von Sartre und zitiert die Ansprache von Staatspräsident Emmanuel Macron am 13. April 2020 (vgl. S. 28), in der er erklärte “Diese Epidemie darf unsere Demokratie nicht schwächen und sich nicht an einigen Freiheiten festbeißen.” So was sagt ein Sartrianer, bestätigt Wald Losowski, der strikte Einschluss kann unsere Freiheit nicht behinder. Und Macron sagte noch mehr: “Man sagte, wir seien ein erschöpftes, routiniertes Volk, weit entfernt vom Schwung seiner Grundlagen, und nun wetteifern so viele von Ihnen in ihrer Hingabe, ihrem Engagement angesichts der unerwarteten Bedrohung. … Diese gewisse Idee, die Frankreich ausgemacht hat, ist da, lebendig und kreativ. Und das muss uns mit Hoffnung erfüllen.” Sartre sei sehr wohl ein Denker für unsere Zeit, so Wald Lasowski.
Auf die Erinnerungen an seine ersten Begegnungen mit Sartre folgt eine Einleitung unter der Überschrift: “Das Glück zu denken”, in der er zunächst die gesamte Bandbreite aller Genre Revue passieren lässt, deren sich Sartre bedient hat: Romane, Kurzgeschichten, Theaterstücke, philosophische Abhandlungen, Drehbücher etc. Zu Recht bestätigt der Autor den romanhaften Charakter mancher Passagen in seinen philosophischen Essais: “Das Werk Sartres lässt die Theorie im existenziellen Rhythmus der gelebten Erfahrung schlagen.” (S.32) Und Wald Losowski rückt so manchen Ausspruch zurecht, so wie der “Die Hölle, das sind die Anderen”, (vgl. S. 35 f.) der immer missverstanden wurde.
Im Zentrum seines Werkes steht die Definition und sein Nachdenken über die Freiheit des Menschen:”Sartres Freiheit ist eine selbstkritische Arbeit, ein Versuch, sich selbst zu übersteigen, der im Laufe des Lebens angesichts der Ereignisse, mit denen der Einzelne konfrontiert wird, zu leisten ist.” (S. 36 f.) Keine Definition aber eine gelungene Erinnerung an die Sartresche Freiheit in einem Satz.
Der Autor nennt alle Aspekte des Sartreschen Engagements, sein gescheitertes unterfangen, die PCF als compagnon de route zu beeinflussen und auch in dieser Folge sein Scheitern bei dem Versuch Existentialismus und Marxismus miteinander zu verbinden: vgl. S. 44. Aber er gibt nicht auf, seine Reisen weltweit nutzt er, um mit seiner Stimme als Intellektueller den drängenden Fragen seiner Zeit Gewicht zu verleihen. Sein Ruf und seine Bedeutung wurde eindrucksvoll durch die riesige Menschenmenge im April 1980 bestätigt, die seinem Sarg zum Friedhof von Montparnasse folgte.
Der Autor erwähnt völlig zu recht an vielen Stellen die Bedeutung der Bilder für Sartres Denken und nennt auch seine Abschlussarbeit von 1927 “L’Image dans la vie psychologique : rôle et nature” (vgl. S. 156) genauso zutreffend Sartres Folgearbeiten wie “L’imagination” (1936) und “L’imaginiare. Psychologie phénoménologique de l’imagination” 1940. Mit dieser fast 15 Jahre langen Beschäftigung legte Sartre die Grundlage für sein Werk, das sich in ganz besonderer Weise für die Ausdrucksmöglichkeiten des Menschen, d. h. besonders für die Kunst interessierte. Ähnlich wie bei vielen anderen Autoren kommt der Bereich der Kunst etwas zu kurz. Auf S. 179 stellt der Autor die richtige Frage, die Sartre mit seinen Künstlerporträts verbunden hat: “Wie wird man Schriftsteller?” Die Frage, sie müsste eigentlich lauten “Wie wird man Künstler?” gilt für die Untersuchungen über Flaubert, Genet, Baudelaire, Mallarmé und auch Tintoretto, der leider in diesem Band nur kurz genannt wird. Wald Lasowski hat das unbestreitbare Verdienst auf die Bedeutung seiner Studien über diese Künstler hingewiesen zu haben: “Die Freiheit, die Entscheidungen und die Konditionierungen eines gewöhnlichen Individuums, das sich als Schriftsteller konstituiert, aufzuzeigen, ist die theoretische Herausforderung,” (S. 179) genauso wie die vielen Beiträge aus allen anderen Disziplinen, mit denen Sartre sich beschäftigt hat und die er für seine Porträtmethode nutzt, aufgezählt zu haben: Von der Psychoanalyse (“Le Scénario Freud”) über die Literaturkritik bis zur Soziologie, um nur einige zu nennen.
Aliocha Wald Lasowski hat eine spannende Einführung verfasst, die wie oben angedeutet, kein Vorwissen verlangt. Ihm gelingt es mit diesem Buch, seine Passion für das Werk Sartres zu teilen, in dem er den Leser neugierig auf die zitierten Werke macht, deren Stellenwert, er in diesem Band sachgerecht erläutert.
Aliocha Wald Lasowski,
> Réhabilitons Sartre.
Biographie critique et contextuelle d’un penseur du XXe siècle
Paris: Frémeaux et associés 2024.
ISBN 978-2-84468-970-2