Rezension. NEU: Deise Quintiliano, A estética de Sartre
In Rio de Janeiro ist ein Band über die Ästhetik im Werk von Jean-Paul Sartre erschienen. Autorin ist die Professorin Deise Quintiliano, die an der Universidade do Estado do Rio de Janeiro lehrt.
Deise Quintiliano möchte mit diesem Band eine Analyse der Sartre’schen Ästhetik vorlegen, indem sie erläutert, wie Sartre Kunst und Freiheit in ihrem existentialistischen Kontext miteinander verbindet. Sartre hat in vielen Untersuchungen die Rolle des Künstlers und den Einfluss der Kunst auf das Leben des Subjekts analysiert. Quintiliano will u. a. die Tragweite von Sartres Philosophie in ihrer Bedeutung im Bereich der Ästhetik hervorheben. Dabei betont sie Sartres Vision der radikalen Freiheit des Individuums und seiner Fähigkeit, die Welt durch Kunst zu erschaffen und neu zu interpretieren.
Mit der Konzentration auf Schlüsselkonzepte der Sartre’schen Philosophie, wie z.B. den Begriff des „Für-sich-seins“ und die Idee, dass Kunst ein Ausdruck existenzieller Ängste und der Suche nach Sinn sei, gelingt es der Autorin, sehr nachdrücklich auf den Stellenwert der Kunst in Sartres Gesamtwerk hinzuweisen, der in der Literatur immer noch zu kurz kommt, so lange die Schriften über Kunst und Ästhetik im Werk von Sartre als Gelegenheitsarbeiten vernachlässigt und seine Porträtstudien nur als Biographien missverstanden werden. Die Autorin betrachtet „die Kunst als einen Bereich der Freiheit und der Verantwortung“ und kommt damit ihrer Stellung als zentralem Bezugspunkt in seinem Gesamtwerk sehr nahe. Und mehr noch Quintiliano erinnert daran, dass es nach Sartre die Kunst ist, die der eigenen Existenz einen Sinn gibt.
Aie Autorin hat ihre Untersuchung in in drei Kapitel geglidedert: Os jogos da percepção e da imaginação na estética sartriana, A estética do feminino: pegadas poéticas de um filósofo engajado, A arte relê a arte: Miró e Giacometti, Pincéis sartrianos.
In ihrer Einleitung erklärt die Autorin, wie sie ihren Weg zu Sartre – auch gegen viele Widerstände – gefunden hat. Wie bei so vielen begann es mit der Lektüre der Geschichte von Roquentin, La nausée (1938). Später wollte sich Quintiliano nicht auf einzelne Szenen oder den direkten Dialog zu konzentrieren, sondern sie vertiefte sich in Sartres autobiografische Schriften und Biografien anderer Schriftsteller, um deren Beitrag zu Sartres (auto-)biografischem Werk zu untersuchen. Das autobiografische Projekt wurde zum zentralen Thema der Doktorarbeit und später als institutionelles Forschungsprojekt weiterentwickelt, wobei der Fokus auf analytischen Fortschritten und den komplexen (auto-)biografischen Themen Sartres lag. Die Autorin verfasste einen Band über Sartres Schriften und entwickelte das Projekt „Postgraduiertenstudium für Sprachen“ mit einem Schwerpunkt auf ästhetischer Moderne und Identitätsbildung. In der dritten Phase der Forschung wurde das fragmentarische ästhetische Projekt untersucht, das sich mit Subjektivität, Alterität sowie der Verbindung von Autobiografie und Autofiktion befasst.
Im Kern konzentriert sich die Autorin darauf, die Stellung der Kunst in Sartres Philosophie zu bestimmen: Sartre analysiert mit Husserls Konzept der Intentionalität das Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Imagination, wobei er deren ontologische Unterschiede hervorhebt. Wahrnehmung sei für Sartre eine primäre Quelle der Erkenntnis und unterscheide sich grundlegend von der Imagination, da diese auf unwirkliche Objekte verweist und eine andere Bewusstseinsstruktur erfordert. Das Bild dürfe nicht als abgeschwächte Wahrnehmung betrachtet werden, und zeigt, dass Wahrnehmung und Vorstellung unvereinbar sind, da das Bewusstsein zwischen ihnen wechseln muss. Dennoch betont Sartre die Verbindung von Wahrnehmung und Imagination, da beide wesentliche Rollen bei der Konstruktion menschlicher Erfahrung spielen und die Freiheit des Vorstellungsvermögens neue Perspektiven auf das Bild ermöglichen.
In seiner Untersuchung „Das Sein und das Nichts“ zeigt Sartre dass die Beziehung zum Anderen, insbesondere der Blick, eine grundlegende Realität ist, die das Individuum in seiner Freiheit und Existenz definiert. Diese Beziehungen überträgt er auf die Kunst, und zeigt, wie das Kunstwerk durch den Blick des Betrachters beeinflusst wird, wobei Freiheit und Verantwortung zentrale Elemente des ästhetischen und philosophischen Konzepts sind. Quntiliano zitiert hier Sartres Texte zu Giacometti („Les peintures de Giacometti“, in: Sartre Situations, IV und „A la recherche de l’absolu“, in: Sartre Situation, III ), in denen Sartre sich auf die Leere und Entmaterialisierung als Grundpfeiler künstlerischer Darstellung konzentriert. Er erweitert diese Ideen auf Alexander Calder („Les mobiles de Calder“, in: Sartre, Situations, III), dessen Ästhetik Freiheit, Improvisation und die Beziehung zwischen Kunst und Natur betont, und verknüpft sie mit seiner eigenen Philosophie der Freiheit.
Zwar bevorzuge Sartre oft Themen der Existenz, Verantwortung und Widerstand. Aber Quintiliano weist zu Recht daraufhin, dass seine Werke auch poetische und ästhetische Elemente enthalten, die seine Ambition, sowohl Schriftsteller als auch Philosoph zu sein, widerspiegeln.
Es gelingt der Autorin, vor allem das Verhältnis von Kunst und Freiheit im Werk von Sartre hervorzuheben, wobei der bestimmende Faktor der Kunst für die Freiheit deutlich wird. In diesem Sinne ist ihr Buch mit Gewinn zu lesen.
Deise Quintiliano,
> A estética de Sartre
Rio de Janeiro: 7Letras 2024
ISBN 978-65-5905-774-0