Rezension: Nik Farrell Fox, The Parallel Philosophies of Sartre and Nietzsche. Ethics, Ontology and the Self.

Rezension: Nik Farrell Fox, The Parallel Philosophies of Sartre and Nietzsche. Ethics, Ontology and the Self.

Nik Farrell Fox: The Parallel Philosophies of Sartre and Nietzsche. Ethics, Ontology and the
Self
: Bloomsbury Academic, 2022, XIV + 255 S. ISBN 978-1-3502-4816-8. € 101,00
(Gebundenes Buch), € 103,50 (Kindle).

Sartre und Nietzsche – dies scheint für viele ein Gegensatzpaar zu sein. Der braune Nietzsche und Sartre mit seiner linken Politik. Dabei geht vergessen, dass die ursprüngliche Nietzsche-Rezeption in Frankreich vor allem eine linke war, und dies in einem durchaus positiven, idealisierenden Sinn. Nik Farrell Fox zeigt uns in seinem hervorragenden und umfassenden Buch auf, dass es in der Tat sehr viele Parallelen zwischen den Philosophien von Sartre und Nietzsche gibt.

Schon zu Beginn seines Buches belegt Farrell Fox eindrücklich, welch enge Beziehungen es zwischen Nietzsche und Sartre gab, beginnend mit ersten Anmerkungen in Sartres Carnet Midy 1924 bis zu dessen Cahiers pour une morale und Saint Genet in den Jahren um 1950. Dass es hierbei nicht um eine braune, sondern eine progressive Interpretation von Nietzsche ging, zieht sich wie ein roter Faden durchs ganze Buch des Autors. Eine besondere Bedeutung kommt dabei auch dem Verhältnis von Nietzsche resp. Sartre und der postmodernen Philosophie zu. Schon Farrell Foxs Buch New Sartre, 2002 publiziert, trug den Untertitel Explorations in Postmodernism.

Farrell Fox ist einer jener Sartre-Forscher, der nach einem neuen Sartre-Narrativ sucht, indem er Sartre und die französischsprachige postmoderne Philosophie verbindet. Oder wie ein Untertitel in der Einleitung lautet: „A synthesizing project: Existentialism and poststructuralism“. Entsprechend finden sich im ganzen Buch immer wieder Spuren – in einem wertsteigenden Sinne – von Derrida, Deleuze und Foucault, die auf Nietzsche und Sartre verweisen. Und wo die postmoderne französischsprachige Philosophie erscheint, da lugt auch Heidegger um die Ecke – auch er befreit vom braunen Dreck, was in den 1970er Jahren angesichts der Unkenntnis des Inhalts der Schwarzen Hefte noch möglich war.

Farrell Foxs Buch kommt zugute, dass der Autor sich in einer differenzierten Analyse von Nietzsche und Sartre versucht. Im ersten Kapitel erteilt er jenen Interpreten eine Absage, die sich oberflächlich nur an den Text halten und dabei dem künstlerischen Aspekt des Schreibens von Sartre und Nietzsche wie der zeitlichen Dimension von deren Schaffen zu wenig Aufmerksamkeit zukommen lassen. Um eine gute Verständlichkeit des Denkens von Nietzsche wie Sartre zu garantieren, ist es nach Farrell Fox entscheidend, dass dessen historische Entwicklung mit jeweils drei Perioden berücksichtigt wird. Beide Denker sind für Farrell Fox Philosophen des Paradoxes. So wie er für Nietzsche mit Deleuze, gestützt auf Bataille und Klossowski, eine neue Lesart Nietzsches fordert, so stellt der Autor auch bezüglich Sartre fest, dass, angefangen von Howells Einleitung in The Cambridge Companion of Sartre bis zu Noudelmanns Un tout autre Sartre, ein neuer, postmoderner Sartre entstanden ist.

Für Nietzsche wie für Sartre war das Selbst dezentriert. Wenn Nietzsche in eKGWB/NF-1885,35[35] schreibt: „vielmehr nehme ich das Ich selber als eine Construktion des Denkens“, dann könnte dieser Satz auch von Sartre stammen. In Anlehnung an Guattaris Les trois écologies hält Farrell Fox fest, dass das Ich bei Nietzsche wie bei Sartre immer eng mit dem physischen Leib verbunden, sozial konditioniert und Ausdruck einer im Entstehen begriffenen Subjektivität ist. Beide sind Denker gegen sich selbst, aber sie sind auch Denker, die die Leichtigkeit und die Freude des Spiels schätzen („homo ludens“).

Die Komplexität des Ichs, die sich in dessen Beziehung zur Dreiheit von Körper, Sozialität und Psyche widerspiegelt, findet sich auch in der Ontologie und der Ethik wieder. Rückgreifend auf Deleuze/Guattaris Unterscheidung von Glattem und Gekerbtem in Mille plateaux bezeichnet der Autor die Ontologie von Nietzsche wie jene von Sartre als eine glatte. Für beide gilt Deleuze/Guattaris Ausdruck „Pluralismus=Monismus“. Nietzsches Willen zur Macht steht für eine relationale Ontologie in der Tradition von Herákleitos. Statt dem weitverbreiteten Verständnis Sartres als eines Cartesianers folgt Farrell Fox hier Warnocks These, dass Sartre den cartesianischen Dualismus ablehnte. Dabei setzt Farrell Fox eher auf den Sartre der Critique de la raison dialectique mit ihrer ternären Logik und ihrer Betonung der Gruppe als das stärker mit dem Cartesianismus in Verbindung stehende Werk L’être et le néant. Die Parallelität der beiden zeigt sich nach Farrell Fox nicht zuletzt in der Ambiguität, die sich in Nietzsches Die fröhliche Wissenschaft gleichermaßen wie in Sartres Critique mit ihrer dialektischen Wissenschaft findet.

Ausführlich beschäftigt sich Farrell Fox auch mit Nietzsches und Sartres Ethik und den Konsequenzen ihrer Philosophie auf die Politik. Aussagen über deren Ethiken unterliegen jedoch insofern einer gewissen Komplexität, als es bei beiden Unterschiede in ihren Ethiken gibt je nachdem, über welche der drei Perioden gesprochen wird. Gerade bei Nietzsche ist in der dritten Periode mit ihren aristokratischen Äußerungen doch eine drastische Veränderung gegenüber dem demokratischeren, pluralistischeren Ethos der mittleren, kritischen Periode festzustellen. Trotzdem sieht Farrell Fox Linien, die sich in allen Perioden durch Nietzsches Ethik ziehen: ethische Werte als kulturelle und damit historisch geschaffene Werte; Gut und Böse nicht als Opposition verstehen: römische Toleranz statt universelle Moral; Selbstbestimmung des Individuums in dialektischer Beziehung zur Gemeinschaft. Bei Sartre unterscheidet Farrell Fox die drei Ethiken der Authentizität, der Reziprozität und des Geschenks. Allerdings sind diese Ausführungen zu Sartres Ethik etwas kurz geraten. Leider fehlt eine vertiefte Auseinandersetzung mit den bislang erst auf Französisch erschienen Texten Morale et histoire und Les racines de l’éthique aus den 60er Jahren.

Ausgehend von der politischen Rezeption von Nietzsches Denken sind die größten Differenzen zwischen Nietzsche und Sartre bei der Politik erwarten. Hier verweist jedoch der Autor zurecht auf die entscheidende Transformation von Nietzsches Denken, die dieses anfangs der 1880er Jahre erfuhr. Es war der entstehende Machiavellismus und Elitismus und seine zunehmende Kritik an der Demokratie, die sein Denken erst für den Faschismus und insbesondere faschistische Denker wie Baeumler zugänglich machten. Damit wendete sich Nietzsche von seinen früheren eher pluralistischen Ansätzen ab. Auch wenn es da große Differenzen zu Sartre gibt, beiden ist in ihrem gesellschaftlichen Verständnis ein positiver Agonismus eigen. Beide, Nietzsche und Sartre, sind individualistischen und relationale Denker, für die das Selbst und der Andere in einem dialektischen Austausch stehen. Beide treffen sich in ihrer Ablehnung jeder Form von Etatismus. Diese kann durchaus, wie Farrell Fox es tut, als Anarchismus verstanden werden, auch wenn es kein Anarchismus im Sinne von Stirner, Bakunin oder Kropotkin ist.

Farrell Fox zeigt dem Leser noch viele weitere Parallelen zwischen Nietzsche und Sartre auf. Vom Atheismus beider bis hin zu Gemeinsamkeiten in der persönlichen Geschichte. Der Titel des Buches hält, was er verspricht. Mit diesen Parallelen sind Nietzsche und Sartre – und dies ist ein sehr wichtiger Hinweis seitens Farrell Foxs – insbesondere für eine moderne, post- und transhumanistische Philosophie von größtem Interesse. Sie beide stehen für eine Lebensphilosophie, in der Verstehen, Experimentieren und Praxis Hand in Hand gehen. Farrell Fox sieht Nietzsche und Sartre als Zwillinge im Geiste. Für jeden, der sich mit diesen beiden eminenten Denkern beschäftigt, ist Farrell Foxs Buch The Parallel Philosophies of Sartre and Nietzsche eine inspirierende Lektüre.

Alfred Betschart, 23.10.22

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