Kolloquium der Sartre-Gesellschaft in Deutschland
Über LÜGEN im Zeitalter des Krieges
Kolloquium der Sartre-Gesellschaft in Deutschland
> Veröffentlichungen der Beiträge der Veranstaltung Über LÜGEN im Zeitalter des Krieges
Am 9./10. Oktober 2015 im Institut für Philosophie der Humboldt-Universität
10099 Berlin, Unter den Linden 6
Programm zum Download: > Kolloquium Über Lügen im Zeitalter des Krieges *.pdf
DAS XX. JAHRHUNDERT ist das Jahrhundert der LÜGE. Kenntlich war dies von allem Anfang an durch die neuartige Uniformierung und totalisierende Inanspruchnahme der geistigen Welt in zweierlei Hinsicht:
Sowohl seit der ‘Urkatastrophe’ zu Beginn des Saeculums, dem Großen Krieg von 1914, einem Versuch der politischen Neuordnung der Welt, als auch durch die nachfolgende tragische Verkehrsform des Jahrhunderts, dem Weltbürgerkrieg, der 1917 begann und der 1989 zu Ende ging.
Solche exemplarischen Situationen reziproker existentieller Bedrohung waren Anlässe verschiedener Täuschungsstrategien in politischen, kulturellen, militärischen und mentalen Kontexten. Dadurch wurden auch die unterschiedlichsten philosophischen Zurüstungen zum Phänomen der Lüge motiviert.
So sind uns aus dieser Zeit der weltenstürzenden Krise gerade von drei namhaften französischen Philosophen bemerkenswerte Überlegungen zur Lüge überliefert, die seither nachhaltig unser Verständnis von deren Struktur und Wirkung geprägt haben. Diese drei Arbeiten sind Anfang der vierziger Jahre entstanden. Da ist zunächst Jean-Paul Sartres Das Sein und das Nichts (1943) mit einer neuartigen Bestimmung dessen, was man das Sich-selbst-Belügen, die Selbstlüge nannte. Sartre trennt dieses ab vom klassischen Begriff der Lüge. Er nennt dies fortan mauvaise foi (Unaufrichtigkeit). Die Lüge – als Transzendenzverhalten, wie Sartre sagt – „wäre also ein zynisches Bewußtsein, das an sich die Wahrheit behauptet, sie in seinen Worten verneint und für sich selbst diese Negation verneint. Diese zweifache negative Haltung betrifft Transzendentes: die behauptete Tatsache ist transzendent, da sie nicht existiert, und die erste Negation betrifft eine Wahrheit, das heißt einen besonderen Typus von Transzendenz.“(1) Die Unaufrichtigkeit dagegen hat nur „scheinbar die Struktur der Lüge“, denn: „Es gibt hier keine Dualität von Täuscher und Getäuschtem.“(2)
Im selben Jahr 1943 hat Alexandre Koyré im amerikanischen Exil seine Reflections on Lies(3) vorgestellt. Hier wird das Problem der politischen Lüge aufgegriffen. Dieser Text war dann der Ideenspender für Hannah Arendts Untersuchungen über Wahrheit und Lüge in der Politik vom Anfang der siebziger Jahre.
Am wenigsten bekannt ist der dritte französische Beitrag zur philosophischen Lügentheorie jener Zeit, nämlich Vladimir Jankélévitchs Du Mensonge [Èd. Confluences, Paris 1942]. Seit Anfang 1944 dachte Jankélévitch an eine Neuauflage: „Je prépare une 2e édition du Mensonge augmentée … pour un No spécial que je prépare, sur Debussy, une Revue d’art qui sort de temps en temps un beau cahier d’image. Ces occupations m’empêchent de trop penser aux lendemains inquiétants.“ (Vladimir Jankélévitch an einen Freund, v. 9. Feb. 1944, in: Magazine littéraire, Nr. 333, v. Juni 1995, S. 32).
1 Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1991, S. 121.
2 Ibid., S. 122.
3 Deutscher Erstdruck u. d. T.: Betrachtungen über die Lüge, in: Freibeuter [Berlin], Nr. 72, 1997, S. 3–19.
Programm
Nach allen Vorträgen sind etwa 20 Minuten Diskussion vorgesehen.
Freitag, 9.10.2015
18 Uhr Eröffnungsvortrag
Vladimiro Giacché (Präsident des Centro Europa Ricerche, Rom): Phänomenologie der Lüge
im Zeitalter der Medien.
Sonnabend, 10.9.2015
10 Uhr Begrüßung und Einführung
Vincent von Wroblewsky (Berlin, Präsident der Sartre Gesellschaft): Lüge als Alltag, Weltordnung und Widerstand.
11 Uhr
Steffen Dietzsch (Kondylis-Institut für Kulturanalyse, Berlin): Über die Konstruktivität der Lüge
12 bis 14 Uhr Mittagspause
14 Uhr
René-Marc Pille (Universität Paris VIII): Lüge in Paul Valérys dramatischen Skizzen Mon Faust.
15 Uhr
Udo Tietz (Sozialwissenschaftliches Institut, Uni Stuttgart),: “Dummheit & Lüge”
16 Uhr
Alfred Betschart (Chur/Schweiz, Mitglied des Vorstandes der Sartre Gesellschaft): Wahrheit, Unaufrichtigkeit und Lüge bei J.-P. Sartre – Vom Entwurf zum Mittel der Politik
17 Uhr
Ulrich Schödlbauer (Kondylis-Institut für Kulturanalyse, Berlin): Lügen als eine Signatur der Moderne
Die Teilnahme ist kostenlos. Bitte melden Sie sich bei einer der folgenden Personen an:
– Dr. Vincent von Wroblewsky, Präsident der Sartre-Gesellschaft > egoberlin@gmx.de
– Dr. Manuela Hackel, Vizepräsidentin der Sartre-Gesellschaft > manuela@hackel.name